#16 Über die KI ins Gespräch kommen
- Steffen Engelbrecht
- 29. Mai
- 3 Min. Lesezeit
Die zunehmende Verbreitung von künstlicher Intelligenz führt zu einem Phänomen, dass sich zuletzt fast täglich in unser Praxis wiederholt: Patient*innen berichten davon, dass sie eine Frage oder ein Problem mit ChatGPT, Gemini, Claude, Perplexity oder Co. bereits “besprochen” haben und die humane Intelligenz der künstlichen Intelligenz nachgelagert wird.

Während Psychotherapeut*innen sich beginnen zu fragen, ob oder wie lange ihre Tätigkeit wohl noch nachgefragt werden wird, entsteht möglicherweise ein Problem, das größer als die Umschulungskosten für die Therapeutenzunft ist. Das Problem ist im Grunde nicht neu, erfährt aber durch KI eine Aufrechterhaltung oder sogar Intensivierung. Soziale Isolation und ein massives Einsamkeitserleben lassen Menschen mit der KI, anstatt mit anderen Menschen sprechen. Und dies hat kurzfristig erhebliche attraktive Vorteile: Die KI ist immer verfügbar (außer es gibt kein Internet), die KI weiß “alles” (auf jeden Fall mehr, als der/die durchschnittliche Therapeut*in) und die KI urteilt nicht über einen. Neben weiteren hier nicht gelisteten unmittelbaren Vorteilen scheint der letzte Punkt aus unserer psychotherapeutischen Praxis der relevanteste.
In Kimishi und Kogas empfehlenswerten Buch “Du musst nicht von alle gemochten werden - Vom Mut, sich nicht zu verbiegen” beschreiben die Autoren aufbauend auf der Psychologie Adlers eine Vielzahl von zwischenmenschlichen Verrenkungen und Verbiegungen, die wir unternehmen, um Wohlgefallen bei unserem Gegenüber zu erzeugen und welches Leid daraus resultiert. Sprechen oder schreiben wir mit der KI, haben wir nicht länger den Eindruck, dass wir uns anpassen müssen, sondern, dass die KI sich an uns anschmiegt. Unermüdlich sucht sie nach der für mich passenden Antwort, entschuldigt sich, wenn wir sie darauf hinweisen, dass sie “falsch” liegt und bleibt uns stets wohlgesonnen und verfügbar, möge die Frage/der Prompt auch noch so gemein, schwierig oder unklar sein. Kein menschliches Gegenüber, auch kein/e Therapeut*in kann oder sollte das leisten. Noch müssen wir mit anderen Menschen interagieren. Und nicht nur ewig gestrige Schallplattenhörer, sondern auch psychologische Forschung deutet darauf hin, dass wir davon profitieren (siehe bspw. Blogbeitrag #10) und deswegen mit anderen Menschen, vielleicht auch unserem nicht allwissenden Therapeuten, ins Gespräch kommen sollten.
Ziel von Psychotherapie ist oft die Verbesserung der Resilienz, der Widerstandsfähigkeit einer Person an Umstände, die sich ebenso oft nicht (mehr) verändern lassen. Dazu zählen auch der Frust über die menschliche Beschränktheit oder die Angst vor einer möglichen Ablehnung. Damit ist das Gespräch mit einem anderen Menschen ein notwendiges Training, um in der “echten Welt” zu bestehen, in der fiese, gestresste, dumme, müde, faule, egoistische, hinterlistige, menschliche Menschen keine Rücksicht auf individuelle Empfindsamkeiten nehmen. Ohne Frage ist KI jetzt schon extrem hilfreich, um Antworten auf der Sachebene zu erhalten und sollte dafür unbedingt, auch in Psychotherapie, genutzt werden. Die in der real world relevante Beziehungsebene bleibt jedoch unterstimuliert. Eine Floskel, aber wahr: Es bleibt unfassbar spannend, wohin die Reise mit KI geht.

Während diese Entwicklung noch unklar scheint, lässt sich KI aber wunderbar nutzen, um über sie mit anderen Menschen ins Gespräch zu kommen. Auf Amazon und in Buchhandlungen werden teure Kartensets verkauft, die anregende Fragen für romantische Paarabende, feucht-fröhliche Freundesrunden und viele weitere Anlässe parat halten. Vielleicht ist dieses zwar haptische, aber kostspielige und baumunfreundliche Erlebnis in Zukunft den Schallplattenhörern und Schaltgetriebefahrern vorbehalten. Mittels KI lassen sich sehr einfach sehr spannende Fragen generieren, um mit anderen darüber ins Gespräch zu kommen. Ein möglicher Prompt (die Eingabe in die KI-Eingabemaske) könnte die Anzahl der Personen und das grobe Thema vorgeben. Zum Beispiel Partnerschaft und Freundschaft, Lebensziele und biografische Entwicklungen, moralisch kontroverse Fragestellungen oder Politik. Ergänzt werden könnte noch, ob es eher Anregungen für ein lustiges, vielleicht etwas oberflächliches Gespräch oder eher einen innigen, intimen Austausch sein sollen. In unseren Versuchen generierte die KI auch ohne eindeutige Kriterien bereits interessanten Gesprächsstoff. Noch ist die KI nicht zu einem transhumanoiden Wesen gewachsen, das unsere menschlichen Grundbedürfnisse vollständig abdeckt. Und ob das gut wäre, ist eine tolle Frage für einen gemütlichen philosophischen Abend mit Wein, wahlweise Cola und Käse. Bis dahin lässt sie sich aber nutzen, um angeregt durch sie mit anderen Menschen ins Gespräch zu kommen.
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